«Ich möchte andere Menschen motivieren und ein Vorbild sein.»

Iwan B. hatte viel Glück im Unglück. Mit 38 Jahren, mitten in einem Vorsorgeuntersuch beim Arzt, erlitt er eine Hirnblutung. Das medizinische Personal erkannte die Symptome schnell und reagierte entsprechend auf den Notfall. Nach seiner Hirnverletzung fand er seine grosse Leidenschaft: Das Marathonlaufen.

Iwan B. hatte viel Glück im Unglück. Mit 38 Jahren, mitten in einem Vorsorgeuntersuch beim Arzt, erlitt er eine Hirnblutung. Das medizinische Personal erkannte die Symptome schnell…

Ausschnitt der Beine von zahlreichen Menschen, die Sportkleidung tragen und in Bewegung sind.

 

Es war eine Idee, die fast aus dem Nichts kam. Während den ersten zwei Wochen in der Rehabilitationsklinik, noch im Rollstuhl sitzend, kündigte Iwan seiner Familie an: «Wenn ich hier rauskomme, dann renne ich einen Marathon». 

Gesagt, getan.

Nur 20 Monate nach seiner Hirnblutung lief Iwan durch die Ziellinie seines ersten Marathons – erschöpft und überglücklich, umgeben von Familie und Freunden, die sich genauso mit ihm freuten. Diese Errungenschaft ist mittlerweile schon über zehn Jahre her, doch sie hat keineswegs an Bedeutung verloren. «Für mich ist es wichtig, immer mit irgendeinem Ziel durchs Leben zu gehen. Nach der Hirnverletzung war dies mein erstes Ziel. Ich habe mir das so vorgestellt, darauf hintrainiert und es auch geschafft. An dem hänge ich immer noch sehr», erinnert er sich.

Vor seiner Hirnverletzung trieb Iwan keinen Laufsport. Er war zwar sportlich, jedoch weit entfernt von den Leistungen, die er heute bringt. Zehn Kilometer pro Tag, in der Hauptsaison einen Marathon alle zwei Wochen. Durch die regelmässigen Teilnahmen spart er sich das Training für sein nächstes grosses Ziel: den Transeuropalauf.

  • Den Transeuropalauf nutzt Iwan als Gelegenheit, Menschen für das Thema Hirnverletzung zu sensibilisieren und Spenden für FRAGILE Suisse zu sammeln. Mehr dazu folgt bald auf dieser Seite.

Hirnverletzung hinterlässt ihre Spuren

Ein geübtes Auge erkennt, dass Iwans Gang- und Laufart nicht ganz dem typischen Bild entspricht. Das liegt an der Lähmung seiner linken Körperhälfte, die Iwan als Folge der Hirnverletzung erlitt. Die Reha, Therapien und der intensive Sport halfen alle dabei, die Halbseitenlähmung links auf ein Minimum zu reduzieren. Die Feinmotorik bleibt eine Herausforderung: Iwan ist Linkshänder und kann somit nicht gut schreiben. Nach so vielen Therapien und so viel Erreichtem fokussiert er sich aber nicht auf das Wiedererlernen oder Umstellen auf die rechte Hand. Stattdessen akzeptiert er, dass nicht alles wieder funktionieren muss und nimmt Hilfe von aussen an.

Auch unsichtbare Folgen der Hirnverletzung beeinträchtigen Iwan nachhaltig: Aufgrund einer medizinisch dokumentierten kognitiven Ermüdbarkeit kann er keinen Vollzeitjob ausüben. Seine Konzentrationsfähigkeit ist so stark eingeschränkt, dass er kognitive Aufgaben nur für wenige Stunden am Tag bewältigen kann, bevor er längere Erholungsphasen benötigt.

Die Bedeutung des Laufens

Iwan nutzt den Laufsport, um seine Resilienz sowie körperliche und geistige Gesundheit zu stärken. Er wird seltener krank und erholt sich schnell von Infekten. Beim täglichen Laufen hört er Hörbücher über Medizin, Ernährung und die Ultramarathonszene. Wegen seiner eingeschränkten Konzentrationsfähigkeit bleiben viele Inhalte bruchstückhaft, sodass er Kapitel oder Folgen oft wiederholen muss.

Iwan betont auch die Vorteile des Laufsports als Mittel zur Meditation: «Nach 40 bis 50 Minuten ist mein Kopf komplett leer», erzählt er. «Ich spare mir damit den Psychiater.» Früher war Iwan sehr impulsiv und konnte kaum stillsitzen – heute sei er viel ruhiger und ausgeglichener.

Die Kraft und das Wissen, das Iwan aus dem Laufsport schöpft, nutzt er nicht nur für sich selbst. «Ich habe vier Kinder. Als Vater möchte ich ihnen ein Vorbild sein.» So sehr er es möchte, könne er nicht verhindern, dass ihnen vielleicht einmal etwas Ähnliches passiert. Er will ihnen alle nötigen Skills mitgeben, um das Risiko zu minimieren und im Fall der Fälle bestmöglich mit der Situation umzugehen. «Man kann nicht sagen, weshalb ich eine Hirnblutung hatte. Diese Frage beschäftigt mich manchmal immer noch, deswegen bilde ich mich auch – im wahrsten Sinne des Wortes – laufend weiter.»

Motivation für andere

Iwan ist dankbar für die gute medizinische Betreuung während des Ereignisses und in der Rehabilitationsphase danach. In den verschiedenen Therapien und Beratungsstellen fühlte er sich von kompetenten Fachpersonen gut aufgehoben und er ist dankbar für die Informationen im Begleitheft für Angehörige von FRAGILE Suisse. Er ist Mitglied bei FRAGILE Aargau/Solothurn Ost und froh, dass es verschiedene Dienstleistungen für Betroffene und Angehörige gibt.

In der Reha war aber nicht alles blumig: «Eine Sache trichterten mir Fachpersonen ständig ein: ‘Iwan, du wirst nie wieder der gleiche sein, nie wieder dasselbe können wie vor der Hirnverletzung.’» Dieser Rat soll verhindern, die Erwartungen zu hoch setzen. Viele Betroffene fallen nach der Rückkehr in den Alltag in ein tiefes Loch sobald sie realisieren, dass sie nicht einfach mit dem gewohnten Leben weitermachen können. Je früher man das versteht, desto einfacher soll eine Neuorientierung fallen. Für Iwan war die Intensität und Regelmässigkeit dieses Rats allerdings zu hoch: «Das hat mich eher ausgebremst, anstatt mir zu helfen», erklärt er.

Deswegen ist es ihm heute so wichtig, andere zu motivieren. «Natürlich würde ich am liebsten alle zum Rennen bekehren», lacht Iwan. Doch das Wichtigste sei, an sich selbst zu glauben. Man sollte optimistisch bleiben und sich nicht auf das konzentrieren, was nicht mehr geht, sondern auf das, was man kann und welche Fortschritte man erzielt hat und noch erzielen wird. «Es gibt Grenzen, doch diese kannst du auch verschieben – wenn nicht sogar durchbrechen.»

Er betont aber auch, dass das Leben nach der Hirnverletzung kein Wettkampf ist. Marathons zu laufen und ähnliche grosse Herausforderungen sind nicht für jede Person das Richtige. Für Iwan sind sie das, sie motivieren ihn auf seinem Weg, doch er sagt ganz klar: «Jeder Weg ist wertvoll, egal wie gross die Schritte sind.»

Das nächste grosse Ziel

2023 entschied Iwan, dass er 2025 den Transeuropalauf bestreiten würde. Dort führen ihn 41 Tagesetappen vom Norden Deutschlands bis nach San Marino – eine eigenständige Republik inmitten Italiens. Für ihn ist es ein weiteres Projekt um zu beweisen, was nach einer Hirnverletzung alles möglich ist. Er will sich für sich selbst und andere Betroffene stark machen und die Öffentlichkeit für die Herausforderungen und Möglichkeiten von Betroffenen sensibilisieren. Deswegen wird er den Lauf im FRAGILE-Outfit bestreiten und Spenden sammeln.

Weitere Informationen, wie Sie Iwan am Transeuropalauf unterstützen können, folgen hier: www.fragile.ch/transeuropalauf2025

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