Mein neues Zauberwort

Über Energie, Stärken und Resilienz – ein Bericht von Rosella Giacomin, Vorstandsmitglied von FRAGILE Basel.

Über Energie, Stärken und Resilienz – ein Bericht von Rosella Giacomin, Vorstandsmitglied von FRAGILE Basel.

Kleines Clipboard mit einer Notiz. Als Titel steht "Tagesplan", Wunsch und Realität sind einander gegenübergestellt. Die Wunschliste enthält fünf Aufgaben, auf der Seite "Realität" ist allein der erste Punkt aus den Wünschen übertragen.

Wo bist du denn hin…? Du warst doch eben noch da… Ein typischer Dialog zwischen mir und meinem Energielevel… Energie, dieses magische Wort, dessen Bedeutung mir erst seit meinem Lebensrichtungswechseltag (hört sich einfach viel sympathischer als Unfall an) wirklich bewusstgeworden ist. Als ich noch frisch, fit und munter durch die Welt düste und Jurastudium, Teilzeitstelle als Sekretärin, soziale Kontakte und mehrere Sportarten problem- und reibungslos meistern konnte, war Energie ein normaler Teil von mir. Etwas, das selbstverständlich da war und es mir ermöglichte, mein Pensum ohne Einschränkungen zu erfüllen. Das war einmal… Leider ohne jegliche Märchenaspekte… 

Die (sehr zahlreichen) Hirnzellen, die meinen wortwörtlichen Sturz nicht überlebt haben, können logischerweise ihre Arbeit nicht mehr ausführen. Deshalb müssen gezwungenermassen die anderen Hirnregionen lernen, diese Aufgaben umzusetzen (O Hirn, du plastisches Wunderwerk…). Gleichzeitig müssen sie aber auch ihre eigenen Tätigkeiten erledigen. Ein Dilemma, das zu ständigen Überstunden führt und dementsprechende Auswirkungen auf das Energielevel hat. 

In den ersten Jahren meiner Rehabilitation litt ich besonders darunter. Die Haushaltsführung wurde zu einem wahren Kraftakt. Eine halbe Stunde Kleider falten und im Schrank versorgen und ich war erschöpft. Und zwar so erschöpft, dass mir schlecht wurde. Ich-muss-mich-jetzt-übergeben-schlecht. Horror. Gewisse Aufgaben erschienen mir so unüberwindbar, dass ich mich gar nicht erst traute, sie überhaupt erst anzugehen…

Es war frustrierend. Ich fand mich am Rande der Verzweiflung wieder, ohne jeglichen Schimmer, in welche Richtung ich gehen musste. Je mehr ich mich gegen diese Hilflosigkeit wehrte, desto erschöpfter wurde ich. Es war reine Energieverschwendung, weil ich meine (extrem…) verringerte Leistungsfähigkeit partout nicht wahrhaben wollte. Ich fühlte mich wie im Hamsterrad, in dem ich immer schneller rannte, bis ich schliesslich rausfiel und (wortwörtlich…) liegenblieb. 

Irgendwann fand ich aber tatsächlich den Weg aus diesem dunklen Labyrinth heraus. Dies dank der Hilfe und Unterstützung einiger guter Feen, die mir praktische Tipps gaben und immer wieder aufzeigten, wie viel ich trotzdem schon geschafft hatte und schaffte. 

Eines schönen Tages fing ich selber an, daran zu glauben, und ich sah und spürte das Licht der Erkenntnis. Ich musste meine «alternative Leistungsfähigkeit» akzeptieren und mich ihr anpassen – nicht umgekehrt. Ein Adler fliegt weiter als ein Spatz, wichtig für und in der Natur sind beide genau gleich. Diese Umstellung im Denken zeigte bald Wirkung. Vor jeder gefühlten Mammutaufgabe wiederholte ich denselben Satz: «Ich schaffe das!» Und ich schaffte es. Ich lernte Resilienz kennen, meine neue Wegbegleiterin, die mich schlussendlich zu meinem aktuellen Zauberwort führte: Stärke. Stärke, um meine Schwächen anzunehmen. Stärke, um mit mir selber geduldiger zu sein. Stärke, um mich auf mein neues Energielevel einzustellen. Anstatt mich selber fertigzumachen, weil ich an einem Tag eine, vielleicht zwei, aber nicht fünf, Aufgaben erledigen kann, bin ich stolz darauf, dass ich ÜBERHAUPT etwas vollbringe. Und wenn es «nur» eine lange und WOHLVERDIENTE Pause ist. Bei all den Überstunden verdienen meine hart arbeitenden Hirnzellen JEDE Gelegenheit, sich auszuruhen. 

Das Geheimnis meines Erfolges? Sich selber neu kennenlernen, kalibrieren und annehmen. Und täglich neue Zaubermomente finden… So schaffen wir das. 

Rosella Giacomin, Betroffene

Werden Sie aktiv