Arbeit mit Pferden aktiviert Koordination und Konzentration

Tiere sind schon seit eh und je des Menschen bester Freund. Doch können sie Menschen, die eine Hirnverletzung erlitten haben, besonders helfen? Gabriela Pernter Volpe ist tiergestützte Therapeutin und arbeitet mit Menschen mit Hirnverletzung.

Tiere sind schon seit eh und je des Menschen bester Freund. Doch können sie Menschen, die eine Hirnverletzung erlitten haben, besonders helfen? Gabriela Pernter Volpe ist…

Gabriela Pernter Volpe mit einem Pferd

Gabriela Pernter Volpe, wie kann tiergestützte Therapie nach einer Hirnverletzung helfen?

Nach einer Hirnverletzung ist die ganze Welt anders. Hinzu kommt, dass sich die Persönlichkeit verändern kann, was für die Familie oft eine schwere Belastung ist. Es folgen dann häufig die unterschiedlichsten Therapien. Die Patient:innen gelangen zu uns auf Umwegen, da eine tiergestützte Intervention nicht im Vordergrund steht. Wenn sie dann bei uns ankommen, führen wir als Erstes ein Anamnesegespräch mit ihnen und nehmen den Fall auf, so dass wir die geeigneten Übungen planen können. Wo liegt das Entwicklungspotenzial? Braucht es mehr Koordination, Konzentration oder muss sie oder er sich mehr innerlich festigen? Die TDATM-Therapie ist eine kognitive, anregende pferdegestützte Therapie, welche über die Augenmotorik aktiviert wird. Ein Patient mit Hirnverletzung kann mit dem Pferd sehr einfache Übungen durchführen und wird dabei kognitiv angeregt. Diese Art der Übungen sind für das menschliche Gehirn stimulierend und aktivieren die wichtigen Botenstoffe zur Regeneration.

Eignet sich diese Therapie für Betroffene mit jeglicher Art von Hirnverletzung?

Alle Betroffenen, unabhängig von der Art ihrer Hirnverletzung, dürfen zu uns kommen. Im Falle einer Halbseitenlähmung (Hemiparese) können wir auch im Rollstuhl mit ihnen arbeiten. Wir machen alle Übungen mehrheitlich vom Boden aus, geritten wird am Anfang noch nicht. Die Therapie ist sehr vielseitig und abwechslungsreich entwickelt worden. Bei Patient:innen mit einer Hirnverletzung legen wir besonderen Wert auf einen strukturierten Ablauf , da es am Anfang einer Hirnverletzung enorm wichtig ist, dass wir klare Einheiten reinbringen.

Wie muss man sich eine solche Therapieeinheit vorstellen?

Beim Anamnesegespräch lernen sich  Therapeut:in und Patient:in kennen, wobei das Sammeln von Informationen zum Krankheitsbild und den Zielvorstellungen im Vordergrund steht. Danach plant der Therapeut oder die Therapeutin die erste Sitzung. Diese ist sehr vielseitig, wir machen mit dem Pferd alles vom Boden aus. In der ersten Sitzung suchen sich die Patient:innen immer zuerst das Pferd aus. Danach geht es um das Kennenlernen, Berühren, die Pflege und sich langsam an das Pferd Herantasten. Ein wichtiger Punkt ist auch die Pferdeerfahrung. Wenn jemand gar keine Erfahrung hat, arbeiten wir zuerst mit Ponys. So haben die Betroffenen keine grosse Respektangst, wenn dann plötzlich ein so grosses Pferd vor ihnen steht. Wir bringen die Leute immer sachte an ihre Fähigkeiten heran. Danach folgen die Bodenarbeiten, bei denen wir z.B. blaue und gelbe Pylonen auf den Boden stellen und die Patient:innen mit einer gelben Fahne in der Hand mit dem Pferd laufen sollen. Dabei bewegen sie die Fahne auf- und abwärts und treten durch die Pylonen rechts und links in Schlangenlinienformen ein und aus.

Welchen Nutzen können Betroffene aus der Arbeit mit den Pferden ziehen?

Aufgrund dieser Arbeit fangen die Patient:innen an, im Gehirn Koordination und Konzentration zu aktivieren. Dies, weil die Augenmotorik aktiviert wird. Sie müssen auf mehrere Sachen schauen und gleichzeitig aber auch motorische Bewegungen ausführen und dabei noch das Pferd oder Pony führen. Diese Aktivität ist so vielseitig aufgebaut, dass sich Betroffene nach einer Therapiestunde sehr glücklich und fröhlich fühlen, aber auch erschöpft und müde sind. Dies, weil gewisse Botenstoffe im Gehirn, die Neurotransmitter, aktiviert werden und dazu führen, dass sich die Person entspannt und sich wohl fühlt. Die Sitzungen werden langsam aufgebaut. Bei Menschen mit Hirnverletzung achten wir besonders darauf, dass sie sehr langsam vorgehen und mehr mit Wiederholungen arbeiten. Nach sieben Wochen ziehen wir  eine Bilanz in einem Abschlussbericht und können diesen auch an die Institutionen, Psychologen, Hausärzte und Neurologen schicken. So können diese entsprechend verfolgen, was wir im Rahmen unserer Therapie erreicht haben.

Was sind die Herausforderungen und Schwierigkeiten?

Die Herausforderung ist, dass wir die Patient:innen nicht überfordern dürfen. Da wir sehr viele verschiedene Möglichkeiten haben, sie abzuholen, gehen wir sehr konzentriert, sachlich und bestimmt in gewissen Reihenfolgen vor. Auf diese Weise treten keine Schwierigkeiten auf und wir überfordern sie nicht. Unsere Möglichkeiten sind wie folgt: Wir gehen Schritt für Schritt vor, immer dabei sind Pflege, Positionsarbeit und Fahnenarbeit. Wir haben eine Quadratvolte bestehend aus Gassen, die am Boden liegen. Das Pferd wird dort im Quadrat herumgeführt. Es gibt auch Longewalking, wo man wie bei einer Kutsche von hinten her das Pferd an langen Zügeln führt. Zusätzlich gibt es ein sogenanntes Roundpen, wo wir im Freien an der Beziehung und Freundschaft, aber auch an der Konzentration, Koordination und Reaktion mit den Patient:innen arbeiten. Wir haben auch feine Seilarbeiten und Ruhezonen. Das ist unser sogenannter Bodywork. Die Patient:innen liegen auf dem Pferd und dürfen einfach nur sein. Es hat aber auch den Effekt, dass sie sich dem Pferd total hingeben dürfen und in der Atmung zusammen mit ihm atmen können. Das ist gleichzeitig auch eine sehr meditative Arbeit. Um die vielen verschiedenen Möglichkeiten, die wir haben, klar und bewusst organisieren zu können, müssen wir immer mit den Patient:innen direkt Rücksprache nehmen. Vor jeder Sitzung halten wir ein kurzes Gespräch, um zu wissen, woer oder sie aktuell steht. Wenn wir das nicht machen oder wir uns mit den Patient:innen immer auf die gleiche Arbeit konzentrieren, machen wir die grössten Fehler, weil wir so nicht realisieren, wenn sie überfordert sind oder ihnen die Arbeit einfach zu viel oder zu langweilig wird. Deshalb ist es bei uns ein absolutes Muss, vor jeder Sitzung ein kurzes Interview zu führen, um mehr über seine oder ihre  Tageskondition zu erfahren. Dementsprechend werden sie dann in der Therapie abgeholt. Wir haben also keine Arbeit, die autonom immer ständig genau gleich abläuft, sie ist sehr abwechslungsreich und flexibel gehalten. Dort gibt es aber die Sicherheit, dass wir Patient:innen nicht in irgendwelche Schwierigkeiten bringen oder dass sie oder das Pferd sich überfordert fühlen könnten. Beim Pferd achten wir genauso darauf. Die Therapie, die wir machen, ist immer pferdeartgerecht und es ist auch für das Pferd eine Trainingsarbeit.

Interview: Carole Bolliger

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