Stimm- und Wahlrecht für Menschen unter umfassender Beistandschaft
In der Schweiz dürfen Menschen, die aufgrund einer geistigen oder psychischen Behinderung unter umfassender Beistandschaft stehen, grundsätzlich nicht abstimmen oder wählen. Dadurch verstösst die Schweiz jedoch gegen die UNO Behindertenrechtskonvention: Diese schreibt vor, dass alle Menschen mit Behinderung ein Wahl- und Stimmrecht haben sollen. Der Kanton Genf gilt hier als Vorreiter, denn 2020 hat dessen Bevölkerung zu 75 % dafür gestimmt, dass Menschen mit einem Beistand wählen und abstimmen dürfen. Inclusion Handicap fordert nun, dass der Bund und die weiteren Kantone diesem Beispiel folgen.
Abstimmungsvorlagen in leichter und einfacher Sprache
Doch das Stimmrecht alleine nützt wenig, wenn die Abstimmungsvorlagen nicht für alle zugänglich sind. Die offiziellen Unterlagen vom Bund können Menschen daran hindern, sich eine Meinung zu den politischen Themen zu bilden, weil sie zu kompliziert geschrieben sind. Vom Bund werden bis jetzt keine Unterlagen in einfacher oder leichter Sprache zur Verfügung gestellt, doch verschiedene Organisationen setzen sich für die Erstellung von solchem Material ein. Das Online-Magazin infoeasy hat zum Beispiel in einem Pilotprojekt von September 2020 bis November 2021 das Abstimmungsmaterial in leichter Sprache übersetzt. Weiter bietet infoeasy Nachrichten und ein Wörterbuch in leichter Sprache an, um allen Menschen den Zugang zu aktuellen Informationen zu gewähren.
Während sich Angebote in leichter Sprache vor allem an Menschen mit einer kognitiven Behinderung richten, können Texte in einfacher Sprache (also Texte, die aus kürzeren Sätzen und allgemein verständlichem Wortschatz bestehen) einer breiteren Bevölkerungsgruppe zugutekommen: beispielsweise Menschen mit Konzentrationsschwierigkeiten, älteren Menschen oder Personen, die die Sprache nicht so gut beherrschen. Easyvote übersetzt die Abstimmungsunterlagen in einfache Sprache und fasst diese in einer Broschüre und auf der Website zusammen. Ausserdem wird das Vorgehen erklärt, um abzustimmen. Die Zielgruppe von Easyvote sind eigentlich 18- bis 25-jährige, doch die Texte und Videos (auf YouTube verfügbar) können auch für weitere Gruppen hilfreich sein.
Abstimmungsschablonen für Menschen mit Sehbehinderung
Auch für Blinde, Menschen mit einer Sehbehinderung oder Hörsehbehinderung stellen Abstimmungsunterlagen bis jetzt eine Barriere dar, denn sie können die Stimmzettel nur mithilfe einer anderen Person ausfüllen. Dadurch wird ihr Stimmgeheimnis nicht gewahrt. Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen (SZB) hat deshalb eine Schablone entwickelt, mit der sie für die jeweiligen Vorlagen erfühlen können, an welcher Stelle sie ihre Stimme eintragen müssen. Im September 2022 hat der Ständerat diese Idee gutgeheissen, sodass nun der Bundesrat die nötigen Voraussetzungen schaffen soll, um die Schablonen bald einzusetzen.