Christian Salamin zieht Bilanz

Das Ziel des Projekts Ride for Stroke wurde am 29. Oktober 2021 im Rahmen des Weltschlaganfalltages erreicht. Ein grosser Moment für Christian Salamin, der sich stark für dieses Projekt eingesetzt hat. Das Mitglied von FRAGILE Valais blickt auf ein grossartiges Abenteuer auf dem Fahrrad und einer Strecke von mehr als 5'400 km zurück.

Das Ziel des Projekts Ride for Stroke wurde am 29. Oktober 2021 im Rahmen des Weltschlaganfalltages erreicht. Ein grosser Moment für Christian Salamin, der sich stark für dieses…

Bild Ride for Stroke

 

Was war Ihr erster Gedanke, nachdem Sie das Ziel erreicht hatten?

Mein Kopf war ganz durcheinander von den vielen Emotionen. Es war ein besonderer Moment. Ich wurde von der Polizei durch die Stadt Santiago de Compostela begleitet, wo überall applaudierende Menschen standen. Es war sehr bewegend. Ich hatte gar keine Zeit zum Nachdenken, ich war so mitgerissen von meinen Emotionen. Es war ein unglaubliches Gefühl, das man sich nur vorstellen kann, wenn man es selbst erlebt hat. Auf dem Platz in Santiago herrschte eine unglaubliche Begeisterung. Hunderte von Menschen applaudierten und riefen meinen Namen. Zuerst dachte ich, sie applaudieren für jemand anderen. Ich schaute um mich her und dachte: «Das kann nicht sein» *lacht*. Als Allererstes wollte ich jedoch meine Frau finden. In den Wochen vor meiner Ankunft ging mir mein ganzer Weg seit dem Unfall noch einmal durch den Kopf. All das Leid, das ich ertragen musste, um hierher zu kommen - es hatte sich gelohnt.

Was war der schönste Moment Ihrer Reise? Und was der schwierigste?

Der beste Moment war, als ich in Saint-Paul-lès-Dax in Frankreich ankam und von der «AVC AIT Carpe Diem Association» und dem Rathaus empfangen wurde. Das war ein sehr intensiver Moment. Ich hatte das Gefühl, dass die Öffentlichkeit uns Behinderten endlich zuhörte. Wir konnten uns mit Politikern austauschen, was sehr interessant war. Ich werde diesen herzlichen Empfang nie vergessen.

Das Schwierigste war, dass es in Deutschland, Dänemark und Belgien jeden zweiten Tag geregnet hat. Dies war psychisch belastend. Es gab Momente, in denen ich nicht mehr auf das Fahrrad steigen wollte, aber ich habe es trotzdem geschafft. Ich hatte die gleiche Einstellung wie bei meinem Schlaganfall. Das heisst, ich nahm jeden Tag wie er kam und einen Schritt nach dem anderen. Ich bin zwar nur langsam vorwärts gekommen, aber ich bin immer vorwärts gekommen.

Warum hat das Projekt «Ride For Stroke» in der Öffentlichkeit und in den Medien eine solche Begeisterung ausgelöst?

Ich denke, viele fühlten sich durch die Werte, die ich vertrete, angesprochen. Ich habe trotz allen Schwierigkeiten immer vorwärts geschaut und weiter gemacht. Vielleicht waren die Leute von dieser Willenskraft und meinem Mut beeindruckt. Für mich ist alles möglich, wenn man daran glaubt. Dies möchte ich durch mein Projekt auch allen Schlaganfallpatienten vermitteln: Man darf den Glauben nie verlieren, man soll nie aufgeben und muss immer positiv bleiben. Es gab auch schon Situationen, in denen ich aufgegeben habe, oder ans Aufgeben gedacht habe. Aber diese Gedanken habe ich schnell wieder verdrängt. Man darf nie aufhören nach vorne zu blicken.

Sie waren bei diesem Abenteuer nicht alleine unterwegs. Erzählen Sie uns von der Unterstützung durch ihre Familie und die Menschen, ohne die das Abenteuer nicht möglich gewesen wäre.

Ich konnte auf eine starke Unterstützung aus meinem Umfeld zählen. Fernando, mein Begleitfahrer, war jeden Tag da, um mitzufahren und mich zu unterstützen. Er ist ebenfalls Mitglied von FRAGILE Valais und hat 2016 einen Schlaganfall erlitten. Und auch meine Frau unterstützte mich jeden Tag moralisch. Sie hat mich überzeugt, wieder auf den Sattel zu sitzen, wenn alles aus den Fugen zu geraten schien. Eine Woche lang, voller besonderer Momente, haben mich meine Söhne begleitet. Ausserdem wurde ich auf der Strecke immer wieder von Freunden besucht. Alle waren unglaublich unterstützend. 

Was sollten die Leute über Schlaganfälle wissen?

Sie sollten besser über die unsichtbaren Folgen Bescheid wissen. Über die Probleme im Umgang mit Emotionen. Da man anders reagiert als vor dem Schlaganfall, verändern sich die Beziehungen zu anderen Menschen. Die Sicht von Aussenstehenden ist oft problematisch. Als ich beispielsweise auf den letzten Etappen in Spanien mit einer anderen behinderten Person unterwegs war, musste ich auf die Toilette und wir hielten bei einem Bistro an. Eine Mutter, die dort sass, sah mich, drehte sich zu ihren Kindern um und sagte: «Oh, schaut euch den Herrn mit dem Holzbein an». Daraufhin sagte ich: «Ich habe kein Holzbein, ich bin halbseitig gelähmt». Es war eine Mischung aus Komik und Tragik. Die Leute sind oft unwissend.

Wie geht es nun weiter für Sie?

Dieses Projekt half mir auf meinem Weg, mein Selbstvertrauen wieder aufzubauen, welches nach meinem Schlaganfall zerstört war. Ich hatte mein Vertrauen in alles verloren und fürchtete mich davor, was alles von heute auf morgen passieren könnte.  Das Projekt war ein guter Schritt im Prozess mein Selbstvertrauen zurückzugewinnen. Ich habe bereits Ideen für weitere Projekte, insbesondere geht es um Aktivitäten für Menschen mit Hirnverletzungen. Aber im Moment brauche ich vor allem Ruhe. Mein nächstes Projekt ist es, mich um mich selbst zu kümmern *lacht*.

Haben Sie noch ein Schlusswort für die Menschen, die Sie begleitet und unterstützt haben?

Ein grosses Dankeschön an alle Menschen, die mich unterstützt haben. Ein ganz besonderer Dank geht an Fernando, der jeden Tag da war und mich unterstützt hat sowie an meine Frau und meine Kinder. Alles ist möglich, man muss nur daran glauben.

FRAGILE Suisse gratuliert Christian Salamin herzlich und dankt ihm für seinen unermüdlichen Einsatz rund um das Thema Schlaganfall und die Vereinigung FRAGILE Valais.

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