Einblick ins Koreferat

Unsere Weiterbildungen finden immer im Koreferat – zusammen mit Betroffenen einer Hirnverletzung – statt. Sie erzählen Teilnehmenden aus erster Hand, wie sich die Hirnverletzung auf ihren Alltag auswirkt. Im Interview mit Rolf Eicher erfahren Sie, was es bedeutet als Koreferent bei FRAGILE Suisse tätig zu sein und welchen Herausforderungen er sich dabei stellen muss.

Unsere Weiterbildungen finden immer im Koreferat – zusammen mit Betroffenen einer Hirnverletzung – statt. Sie erzählen Teilnehmenden aus erster Hand, wie sich die Hirnverletzung…

Bild Rolf Eicher

Bild von Rolf Eicher

Du bist ein Koreferent bei den Weiterbildungen von FRAGILE Suisse. Was bedeutet das? Was sind deine Aufgaben?

Als Koreferent bringe ich den praktischen Teil in die Weiterbildungen ein. Ich erzähle, wie mein Leben als Betroffener aussieht und welche Auswirkungen die Hirnverletzung auf meine Arbeit, meine Freizeit, meine Familie und auf andere Bereiche hat – eigentlich welche Folgen ich bis heute spüre. Ich teile meine ganze Geschichte – vom Unfall bis zum heutigen Zeitpunkt – mit den Teilnehmenden und erkläre, was meine Einschränkungen für mich und mein Umfeld bedeuten. Die Referentin bringt die theoretischen Hintergründe ein und erklärt auf fachlicher Ebene, was im Gehirn passiert und welche Beeinträchtigungen es geben kann.

Für mich bedeutet Koreferent zu sein, mich mit verschiedenen Situationen auseinanderzusetzen und zu reflektieren, was alles passiert ist.  Durch meinen Unfall habe ich viele Fähigkeiten verloren, aber Koreferent kann ich nur sein, weil ich eine Hirnverletzung hatte. Das ist etwas, das ich gewonnen habe. So versuche ich das Verständnis der Teilnehmenden zu fördern und damit das Leben von anderen Betroffenen zu erleichtern.

Welche Herausforderungen musst du als Koreferent bewältigen?

Ich muss meine Energie gut einteilen und während dem Referat immer wieder überprüfen, wie es um meine Konzentration steht. Ich möchte vermeiden, dass ich mich immer wiederhole oder den roten Faden verliere. Das ist ein Knackpunkt, da ich seit meiner Hirnverletzung sehr schnell müde und unkonzentriert werde.

Damit die Weiterbildung möglichst reibungslos ablaufen kann, überlege ich mir jeweils bereits im Voraus, wie der Ablauf des Referats sein wird, wie lange es gehen wird und was ich dafür brauche. Dann kann ich mich darauf einstellen und mich entsprechend vorbereiten. Ausserdem achte ich darauf, dass ich vor dem Referat nichts Grosses mache. Manchmal reise ich sogar extra einen Tag früher an, damit ich nicht schon müde von der Reise bin. Während der Weiterbildung brauche ich eine Liegemöglichkeit für die Pausen, damit ich mich zwischendurch etwas ausruhen kann. Das muss ich im Voraus immer abklären.

Zudem ist es mir wichtig, dass die Teilnehmenden über meine Einschränkungen Bescheid wissen. Ansonsten wundern sie sich vielleicht, weshalb ich so schnell müde oder unkonzentriert werde. Deshalb deklariere ich dies jeweils gleich am Anfang. So kann ich Unverständnis vermeiden und meine Zeit möglichst effizient nutzen. Das nimmt viel Druck weg.

Bei welchen Weiterbildungen von FRAGILE Suisse warst du bereits als Koreferent tätig?

Bisher habe ich im Grundlagenkurs und im Aggressionskurs von FRAGILE Suisse referiert. Ich gehe auch immer wieder an Schulen, die Fachleute im Gesundheitsbereich wie Betreuung oder Pflege ausbilden. Auch in Heimen, wo Betroffene mit einer Hirnverletzung wohnen – beispielsweise in Altersheimen oder Behindertenheimen – war ich schon als Referent im Einsatz. Weiter bin ich immer wieder bei den Ausbildungen von Zivildienstleistenden dabei, die ihren Dienst an Orten leisten, wo sie mit Betroffenen einer Hirnverletzung zu tun haben. Auch in Rehakliniken hatte ich schon Einsätze.

Weshalb hast du dich entschieden, als Koreferent für FRAGILE Suisse tätig zu sein?

Als ich Mitglied einer regionalen Selbsthilfegruppe wurde, hat mich die Leiterin der Gruppe gefragt, ob ich Koreferent werden möchte. Sie war selbst auch Koreferentin und meinte, dass diese Aufgabe zu mir passen könnte. Die Idee gefiel mir eigentlich ganz gut. Ich nahm daraufhin an einem Koreferenten-Wochenende teil und sagte anschliessend zu. Inzwischen bin ich schon seit 16 oder17 Jahren als Koreferent tätig und mache es nach wie vor sehr gerne.

Welche Erfahrungen hast du als Koreferent bei FRAGILE Suisse gemacht?

Bis jetzt habe ich viele gute Erfahrungen gemacht und bekomme auch immer wieder positive Rückmeldungen. Diese zeigen mir, dass ich authentisch wirke und motivieren mich, weiterzumachen. Negative Erfahrungen musste ich persönlich bisher zum Glück nicht machen. Die Teilnehmenden sind meistens verständnisvoll und es gab auch noch nie Fragen, die mir zu nahegingen.

Wie reagieren die Kursteilnehmenden auf dein Erzähltes?

Die meisten sind sehr interessiert und zeigen das auch. Es kommt aber auch vor, dass ich gute Rückmeldungen in den Feedback-Bögen bekomme, die Teilnehmenden aber kaum mitmachen. Das verunsichert mich jeweils. Ich bin mir dann nicht sicher, ob ich etwas Falsches oder Langweiliges erzähle. Es bestätigt mich, wenn Personen Fragen stellen und ihr Interesse zeigen. Wenn die Teilnehmenden interessiert sind, nachfragen und sich Gedanken machen, kann ich ihnen auch wirklich etwas mit auf den Weg geben. Das ist sehr schön.

Was möchtest du anderen Betroffenen gerne weitergeben?

Das Wichtigste ist, nicht aufzugeben, immer wieder aufzustehen und es neu zu versuchen. Am Anfang ist es wichtig, die verlorenen Fähigkeiten zu betrauern, um mit den verbliebenen oder neu entdeckten, unter den gegebenen Umständen, ein erfülltes Leben führen zu können. Humor und Dankbarkeit helfen mir, mich auch an den kleinen Dingen zu freuen. Ausserdem vermeide ich es, mich mit anderen, gesunden Personen zu vergleichen. Ich arbeite an mir und versuche, mich selbst zu sein. Ich bin nicht einfach Opfer meiner Hirnverletzung, sondern selbst dafür verantwortlich, was ich aus meinem Leben mache.

Wem würdest du es weiterempfehlen, sich als Koreferent/in für FRAGILE Suisse einzusetzen?

Allen Betroffenen mit einer Hirnverletzung, die Lust darauf haben, sich mitteilen möchten und sich reflektieren können. Am besten ist es, wenn sie bereits einen grossen Teil verarbeitet haben und eine gewisse Distanz zum Thema haben. Eigentlich kann ich es all jenen Menschen empfehlen, die im Leben mit Hirnverletzung angekommen sind.

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