Er möchte reden, aber er kann nicht

Tobias Bachmann erlitt vor 13 Jahren einen Hirnschlag. Bis heute leidet er unter einer schweren Aphasie – einer Sprachstörung als Folge seines Schlaganfalls. Mit der Malerei hat er ein Ventil gefunden, um sich auszudrücken und seine Emotionen zu Papier zu bringen.

Tobias Bachmann erlitt vor 13 Jahren einen Hirnschlag. Bis heute leidet er unter einer schweren Aphasie – einer Sprachstörung als Folge seines Schlaganfalls. Mit der Malerei hat er…

Bild Tobias Bachmann und Ehefrau

 

Karin und Tobias Bachmann sitzen an ihrem Esstisch. Vor ihnen liegen zwei Fotobücher. Eines von ihrer Reise nach Kanada, das andere von einer Reise durch Norwegen. «Kanada war unsere letzte grosse Reise und einfach wunderbar», erzählt Karin Bachmann. Ihr Mann nickt zustimmend und lächelt. Er möchte etwas sagen, aber die Worte kommen nicht aus seinem Mund. Manchmal mache ihn das richtig wütend, sagt seine Frau. Tobias Bachmann, mit dem sie seit 35 Jahren verheiratet ist, nickt wieder zustimmend. Er deutet auf ein Bild, das im Wohnzimmer auf einer Staffelei steht. Es zeigt eine Faust, mit schwarzer Kohle gezeichnet. Die Person, zu der die Faust gehört, die aber nicht auf dem Bild zu sehen ist, scheint wütend zu sein. Oberhalb der Faust steht das Wort «Aphasie» in grossen, dicken Buchstaben. Er zeigt auf die Faust, dann auf sich. «Er möchte reden, aber er kann nicht», erläutert seine Frau. Ihr Mann nickt und ballt seine Hand zur Faust.

Tobias Bachmann hat seit 13 Jahren mit Aphasie zu kämpfen. Er kann sich nicht so ausdrücken, wie er gerne möchte. Die Wörter kommen ihm zwar in den Sinn, aber rauskommen wollen sie einfach nicht. Eine Aphasie entsteht durch die Schädigung bestimmter Hirnareale. Bei Tobias Bachmann kam sie durch einen Hirnschlag, den er im April 2009 erlitt, ausgelöst durch ein Aneurysma. «Er schlief bereits, als ich ins Bett wollte und bemerkte, dass mit ihm etwas nicht stimmte», erzählt Karin Bachmann. Da sie aus einer Medizinerfamilie kommt und seinen herabhängenden Mundwinkel sah, wusste sie sofort, dass es pressiert. Sie wählte den Notruf, kurz darauf kam ihr Mann ins Kantonsspital Zug, wurde dann aber gleich ins Universitätsspital Zürich verlegt. Dort lag er zehn Tage. Zuerst auf der Intensivstation.

Grosser Familienzusammenhalt

Tobias Bachmann war auf einen Schlag nicht mehr der Mensch, der er war. Er – der Fels der Familie, erfolgreich mit seinem eigenen Planungsbüro, leidenschaftlicher Berggänger – war nur noch «ein Häufchen Elend», wie seine Frau sagt. Er konnte nicht mehr gehen, war halbseitig gelähmt, die Sprache war weg, schreiben konnte er auch nicht mehr. «In der ersten Zeit hatte ich grosse Angst um meinen Mann», sagt Karin Bachmann heute. Auch für sie änderte sich alles. Bis dahin war sie Hausfrau und Mutter. «Plötzlich war ich Managerin, musste mich um alles kümmern. In der ersten Zeit habe ich einfach funktioniert und war froh, dass Tobias überhaupt noch lebte.» Auch für die beiden Kinder, damals 17 und 19 Jahre alt, war es eine grosse Herausforderung. «Es war brutal», stellt Karin Bachmann klar. Doch beide Kinder hätten die Situation akzeptieren und annehmen können. «Für sie war und blieb er einfach ihr Vater.» Sie haben ihn immer unterstützt. Die Familie hat einen grossen Zusammenhalt.

Fünf Monate ist Tobias Bachmann in der Rehaklinik in Bellikon. Dort lernt er alles wieder von Grund auf. Wie ein Kleinkind. «Die Pflegerin sagte, dass er wahrscheinlich die Klinik mit einem Rollator verlassen werde. Aber sie kannte meinen Mann nicht», sagt Karin Bachmann und lacht. Er sei schon immer sehr hartnäckig und stur gewesen. Das kam ihm nach seinem Hirnschlag zugute. «Er übte und übte und gab nicht auf, bis er wieder selber gehen konnte.» In Bellikon machte man Karin Bachmann auf FRAGILE Suisse aufmerksam. «Ich ging zur Beratung, wo ich gute und hilfreiche Tipps bekam. Mein Mann besucht seit zehn Jahren jeweils die Logopädiewochen und dank eines Computerkurses lernte er wieder, mit dem Computer umzugehen.»

Malen als Ventil für seine Emotionen

Nach der Reha kommt er nach Hause, ins gemeinsame Haus in Zug, von dem man auf den Zugersee und bis in die Berge blicken kann. «Ich musste meinen Mann, mit dem ich schon seit 27 Jahren zusammen war, wieder neu kennenlernen. Aber seinen Humor hatte er nicht verloren», erzählt Karin Bachmann. Die beiden lachen gern zusammen. Und Reisen ist ihre grosse Leidenschaft. 2013, vier Jahre nach dem Schicksalsschlag, reisten die beiden für fünf Wochen nach Spanien. Karin Bachmanns Bruder lebt nördlich von Barcelona. Sie lernte Spanisch und er besuchte einen Malkurs. Die Leidenschaft fürs Malen entdeckte er allerdings schon vorher. «Ich merkte, dass er viel Wut in sich hatte und ein Ventil brauchte, diese Wut, seinen Frust, seine Emotionen loszuwerden», so seine Frau. Sie fand einen Kurs für begleitetes Malen. Und Tobias Bachmann war sofort begeistert. Das Talent fürs Malen dürfte er von seiner Mutter geerbt haben, die selbst schon immer malte.

Tobias Bachmann deutet auf ein Bild, gezeichnet mit Farbstift und Neocolor. Es zeigt das Meer und Wolken. Dann zeigt er auf ein Album mit Ferienbildern. «Das hat er auf einer unserer Reisen gemalt», erklärt Karin Bachmann. Ihr Mann strahlt. Auf ihren Reisen hätte er immer einen Block und Stifte dabei. Hauptsächlich malt der 63-Jährige Porträts. Mit Acryl oder Kohle. Selten FRAGILE Suisse auch mit Ölfarben. Oft sind die Augen der porträtierten Person gar nicht zu sehen, abgedeckt oder geschlossen. Einen speziellen Grund dafür gibt es nicht. Mit der Malerei kann er sich ausdrücken, seine Emotionen kanalisieren. Das sagen, was er eben sprachlich nicht sagen kann. Wenn ihr Mann male, dann tauche er in seine ganz eigene Welt ein, manchmal stundenlang. «Dann sollte man ihn nicht stören», sagt sie und lacht. Er fällt in ihr Lachen mit ein. Die beiden sind ein gutes Team, sie hadern nicht mit der Vergangenheit, sondern sehen in die Zukunft. «Wir müssen ausprobieren und schauen, was passiert», sagt mein Mann immer. Die beiden leben und geniessen ihr Leben. Und die nächste Reise ist bereits in Planung.

Tobias Bachmann ist einer von 24 Künstlern mit einer Hirnverletzung, die im April bei der Ausstellung «INVISIBILE» von FRAGILE Suisse in Bern ihre Werke präsentieren. «Wir haben eine E-Mail von FRAGILE Suisse erhalten und als ich ihm davon erzählte, wollte er sofort mitmachen», sagt Karin Bachmann. Was er erschaffe, möchte ihr Mann auch zeigen. Und dass er für die Ausstellung ausgewählt wurde, sei auch eine gewisse Anerkennung. «Ich bin nicht nur ein Mensch mit einer Beeinträchtigung», sagt Karin Bachmann stellvertretend für ihren Mann, der ihr nickend zustimmt.

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