«Mir fehlt die Geduld mit mir selber»

Maike N. ist 28 Jahre alt, als bei ihr ein Hirntumor entdeckt wird. Heute plagen die junge Frau wegen der Hirnverletzung ab und zu Zukunftsängste.

Maike N. ist 28 Jahre alt, als bei ihr ein Hirntumor entdeckt wird. Heute plagen die junge Frau wegen der Hirnverletzung ab und zu Zukunftsängste.

Maike N.

Maike N.

«Eigentlich habe ich gedacht, dass nach der Hirntumor-Operation alles wieder so sein würde wie früher – doch das war ein Irrtum», sagt Maike N. Sie arbeitet an der Universität Bern in der Weltraumforschung an ihrer Doktorarbeit, als sie Anfang 2013 immer wieder Gerüche wahrnimmt, die gar nicht da sind. Manchmal fühlt sie sich zudem wie in einem Traum, erlebt starke Entfremdungsgefühle. Erst habe sie an Stress als Ursache gedacht und eine Psychiaterin aufgesucht. Diese aber leitet eine neurologische Abklärung ein. Die Ärzte entdecken den Hirntumor. Im April 2013 wird Maike N. operiert. «Seither versuche ich in mein altes Leben zurück
und mein neues Ich zu finden.»

Schon am zweiten Tag nach der Operation löst die damals 28-Jährige Sudokus. «Lesen und Rechnen, das alles ging sofort wieder ohne Probleme», sagt die Physikerin. Das seltsame Entfremdungsgefühl aber sei geblieben. «Dieses Gefühl verstärkt sich bis heute, wenn ich Stress habe, aufgeregt bin oder besonders schlecht geschlafen habe», fügt sie an. «Sogleich fühle ich mich dann, als wäre ich in einem Traum. Es ist, als wäre ich nicht ich selber.» Auch Sehen und Hören überfordern sie zu Beginn stark. «Ausserdem hatten sich meine Gefühle verändert. Ich war wie ‚gefühlsflach‘: nicht traurig, nicht böse, nicht fröhlich – ich empfand einfach gar nichts.» Später sind diese Empfindungen langsam wieder zurückgekommen. «Erst dadurch habe ich gemerkt, dass das Gehirn einfach alles steuert, auch Emotionen.»


Schnell müde am Arbeitsplatz

In einem reduzierten Pensum kehrt Maike N. Ende Juni 2013 an die Universität zurück. Als Doktorandin ist sie regulär zu 60% angestellt, arbeitet aber eigentlich Vollzeit an der Dissertation. Sie arbeitet an einem Instrument, das die chemische Zusammensetzung von Gestein misst. «Durch Messungen an einem Meteoriten kann ich zeigen, wie gut das Instrument funktioniert. Später soll es im Weltraum eingesetzt werden.» Am ersten Tag zurück am Arbeitsplatz fühlt sich Maike N. jedoch nur noch fehl am Platz. Durch die Hirnverletzung hat ihre Konzentrationsfähigkeit nachgelassen und sie wird schneller müde. «Früher konnte ich mich so richtig in die Arbeit reinknien, auch mehrere Tage oder Wochen lang. Das geht nicht mehr. Ich brauche häufiger Ruhe.» Die Kollegen am Arbeitsplatz zeigen dafür grosses Verständnis. «Ich solle mir Zeit lassen und nach Hause gehen, wenns nicht mehr geht, raten mir alle, auch die Ärzte. Doch mir fehlt dafür die Geduld mit mir selber.»


Mehr im Moment leben

«Da ist auch die Angst, dass mir die Hirnverletzung die Zukunft verbauen könnte», sagt sie. Zum Beispiel, ob sie ihre Doktorarbeit rechtzeitig abschliessen könne, «denn ich komme einfach nicht mehr so schnell voran». Wissenschaftler wechseln zudem mit dem Arbeitsplatz meist auch das Land – und damit die Sprache, das soziale Umfeld und in Maike N.s Fall auch die medizinischen Bezugspersonen. «Das lässt sich nicht so einfach austauschen.» Sie müsse nun lernen, mehr im Moment zu leben und weniger an die Zukunft zu denken.

Wenn sie Zukunftsängste plagen, wendet sie sich an ihre Familie. «Seit der Diagnose ist unser Verhältnis noch enger geworden.» Auch enge Freunde, in Bern und anderswo auf der Welt, sind für sie da. «Aussenstehende sehen ja nichts von meinen Beeinträchtigungen. Aber diese Menschen versuchen mit zu verstehen und helfen mir.» Mit diesen Menschen feiert sie auch die kleinen Fortschritte. «Zum Glück gibt es davon noch immer einige.» Austausch und Unterstützung findet Maike N. zudem bei anderen jungen Betroffenen. «Nach der Operation bin ich in ein Loch gefallen. Im Internet bin ich schliesslich auf FRAGILE und die Angebote für junge Betroffene in Bern gestossen.» Regelmässig besucht sie dort den Sonntagsbrunch für Junge Betroffene: «Für das gegenseitige Verständnis braucht es unter Betroffenen nur sehr wenige Wörter – und das ist unheimlich wertvoll und stärkt mich.»

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