Prävention wirkt – das Bewusstsein fürs Helm-Tragen nimmt zu

Stefan Siegrist, Direktor der BFU, im Interview.

Stefan Siegrist, Direktor der BFU, im Interview.

Stefan Siegrist, Direktor der BFU

Als Kompetenzzentrum forscht und berät die BFU (Beratungsstelle für Unfallverhütung), damit in der Schweiz weniger folgenschwere Unfälle passieren – im Strassenverkehr, zu Hause, in der Freizeit und beim Sport. Für diese Aufgaben hat sie seit 1938 einen öffentlichen Auftrag.
Stefan Siegrist, Direktor der BFU, im Interview.

Beim Thema «Helm» denken viele an den Velohelm, lassen Sie uns deshalb gleich damit beginnen. Haben Sie Zahlen zu den Unfällen in der Schweiz, bei welchen Velofahrer:innen eine Kopfverletzung erleiden?

Hierzu haben wir nur Daten aus der Todesursachenstatistik und aus der Statistik der Unfallversicherung (nur erwerbstätige Bevölkerung) zur Verfügung. Bei den verunfallten UVG-Versicherten liegt der Anteil der Kopfverletzungen bei 11% (Daten Durchschnitt 2014-2018). Die Todesursachenstatistik zeigt, dass Kopfverletzungen sehr oft zum Todesfall führen: Laut Todesursachenstatistik sterben ca. 60% der verletzten Velofahrer:innen an einer traumatischen Hirnverletzung.

Um wieviel Prozent reduziert sich das Risiko einer schweren Kopfverletzung mit dem Tragen eines Velohelms?

Diese Frage ist gut erforscht: Den neuesten Metaanalysen zufolge können Velohelme die Wahrscheinlichkeit von Kopfverletzungen um ca. 50% reduzieren, die Wahrscheinlichkeit von schweren Kopfverletzungen gar um 60-70%.

Wie hoch ist die Velohelmtragquote in der Schweiz?

2022 trugen gemäss unserer Erhebung 56% der Velofahrer:innen einen Helm. Wir unterscheiden bei unseren Erhebungen nach Fahrzweck. Bei Fahrten für die Arbeit und in der Freizeit ist die Quote mit 50% resp. 60% deutlich höher als bei Fahrten für den Einkauf, wo die Quote bei 30% liegt. Es ist anzunehmen, dass die Länge der Fahrt hier eine Rolle spielt.

Auf dem E-Bike wird häufiger ein Helm getragen: zu 68% auf langsamen und zu 91% auf schnellen E-Bikes (über 25km/h). Auf letzteren gilt seit dem 1. Juli 2012 eine Helmpflicht.

Wie hat sich die Tragquote in den letzten Jahren entwickelt? Sehen Sie einen Trend?

Die Helmtragquoten der Velofahrenden sind in den letzten 20 Jahren deutlich angestiegen, von 20% im Jahr 2000 auf 56% im Jahr 2022. Manchmal hat die Tragquote ein paar Jahre stagniert, dann ist sie wieder angestiegen. Von 2020 bis 2022 haben wir keinen Unterschied festgestellt.

Wird es Ihrer Meinung nach eine Velohelm-Tragpflicht in der Schweiz geben?

Gemäss unserem Geschäftsmodell liefern wir lediglich Fakten und Forschungswissen zum Nutzen von Massnahmen. Entscheiden müssen Politik und Gesellschaft. Die Akzeptanz selbst für ein Obligatorium, welches nur für Kinder gilt, ist im Parlament leider derzeit nicht gegeben.  

Ihren Statistiken können wir entnehmen, dass die Helmtragquote beim Skifahren bei über 90% liegt. Wie erklären Sie sich diese hohe Quote, obwohl es dort keine Tragpflicht gibt?

Das Risikobewusstsein hat zugenommen und auch das Wissen, dass der Helm wirkt. Bestimmt haben Sensibilisierungsbemühungen verschiedener Stellen dazu beigetragen. Die enorme Steigerung der Tragquote hat aber ganz bestimmt weitere Gründe, vermutlich diese:

  • Bei sportlichen Aktivitäten wird eher ein Helm getragen – auch auf dem Velo.
  • Beim Skifahren muss sowieso eine Ausrüstung mitgenommen werden. Da gehört auch der Helm dazu.
  • Ein Schneesporthelm gibt warm.
  • Im Schneesport entfällt als Hinderungsgrund der Verlust der guten Frisur, da sowieso eine Mütze getragen wird und nach dem Schneesport geduscht wird. Beides trifft fürs Radfahren (ausser beim sportlichen Training) meist nicht zu.
  • Beim Skifahren ist der Helm ab einer Tragquote von ca. 60% zu einer sozialen Norm geworden. Diese bewirkt, dass sich die Tragquote ohne weitere Anstrengungen auf 90% erhöhen konnte.

In welchen Bereichen (ausserhalb des Strassenverkehrs) gibt es am meisten Unfälle mit Kopfverletzung? Könnten diese mit einem Helm vermieden oder zumindest reduziert werden?

Häufig ausgeübte Freizeitaktivitäten und Sportarten, bei denen der Helm noch nicht so häufig getragen wird, obwohl das Risiko für Kopfverletzungen erhöht ist, sind: Schlitteln oder Eislaufen. Da könnten einige Kopfverletzungen vermieden werden, wenn ein Helm getragen würde.

Andere Sportarten mit vielen Kopfverletzungen sind: Ski- und Snowboardfahren, Eishockey, Mountainbiken und Velofahren (ohne Strassenverkehr) sowie Reiten/Pferdesport. In diesen Sportarten wird bereits häufig ein Helm getragen.

Auch beim Baden/Schwimmen gibt es relativ viele Kopfverletzungen. Die können aber nicht mit dem Tragen eines Helms reduziert werden. Da braucht es aber andere Präventionsmassnahmen.

Die BFU hat den öffentlichen Auftrag für die Forschung, Beratung und Prävention von Unfällen. Warum ist Prävention so wichtig?

Kurz gesagt: weil sie wirkt und sich volkswirtschaftlich lohnt! Professionell betrieben vermindert die Prävention viele schwere unfallbedingte Verletzungen. Doch die positiven Folgen beschränken sich nicht allein auf unsere Gesundheit. Bevölkerung und Betriebe profitieren auch von tieferen Gesundheitskosten und weniger Ausfalltagen am Arbeitsplatz.

Läuft bei der BFU momentan eine Präventionskamapgne speziell für Velohelme?

Aktuell läuft unsere Kampagne «Kluge Köpfe schützen sich» nicht mehr, weil wir leider nicht viele Themen gleichzeitig bespielen können. Umso wichtiger sind die Bemühungen von Organisationen wie FRAGILE Suisse.

Ein letztes Wort an die Leserschaft, was möchten Sie ihr ans Herz legen?

Unfälle sind zwar seltene Ereignisse, den Velohelm immer zu tragen lohnt sich aber. Selbst für gute Velofahrer:innen. Denn: nicht nur Ungeübte oder Ungeschickte können verunfallen.

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