«Unsichtbare Folgen sollen mehr anerkannt werden»

Im Interview erzählt Silvia Spaar, Leiterin Bereich Beratung, was die Ziele für die nächsten 30 Jahre FRAGILE Suisse sind.

Im Interview erzählt Silvia Spaar, Leiterin Bereich Beratung, was die Ziele für die nächsten 30 Jahre FRAGILE Suisse sind.

Porträt von Silvia Spaar, Bereichsleiterin Beratung

Was wurde in den 30 Jahren, seit es FRAGILE Suisse gibt, für Betroffene und Angehörige in der Schweiz erreicht?
Mit dem Angebot der Selbsthilfegruppen wurde bereits vor 30 Jahren ein wichtiger Bedarf erkannt: dass sich Betroffene und Angehörige untereinander austauschen können, etwa über die Bewältigung des Alltags, über Beratungsstellen oder Therapieangebote. FRAGILE Suisse entwickelte zudem Kursangebote, die den besonderen Bedürfnissen von Betroffenen entsprechen und ihre Fähigkeiten fördern sollen.

Mit der Entwicklung des Schweizer Sozialversicherungssystems wurde es auch immer komplexer, zu klären, auf welche Leistungen Betroffene nach einer Hirnverletzung Anspruch haben. Deshalb hat FRAGILE Suisse die Beratung durch eine ausgebildete Fachperson gestartet. Mittlerweile sind sieben Mitarbeiterinnen in der Beratung in Teilpensen angestellt. Dies zeigt, dass eine stetige Nachfrage bei der Beratung von Betroffenen und Angehörigen besteht. Ähnlich ist es beim Begleiteten Wohnen (BeWo). Obwohl auch andere Anbieter in diesem Bereich tätig sind, hat sich unser Wissen zu möglichen Folgen einer Hirnverletzung bei diesem Angebot bewährt. Die Wissensvermittlung ist ein zentrales Anliegen von FRAGILE Suisse, was sich auch in anderen Dienstleistungen spiegelt – wie dem Parcours " Selbsterfahrung Hirnverletzung".

Sind weitere Dienstleistungen geplant?
Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der Menschen, die mit einer Hirnverletzung leben, stetig wachsen wird. FRAGILE Suisse entwickelt und erweitert daher ständig die Angebote für Betroffene und Angehörige.

Ein neues Angebot von FRAGILE Suisse ist beispielsweise das Projekt LOTSE, das in den kommenden Wochen startet. Betroffene und Angehörige sollen ab dem Moment, wo sie die Rehaklinik verlassen, beraten und begleitet werden. Damit möchten wir die Rückkehr der Betroffenen in den Alltag, die Vernetzung mit den verschiedenen involvierten Fachpersonen sowie die Wiedereingliederung im Beruf erleichtern. Auch im Bereich Öffentlichkeitsarbeit hat FRAGILE Suisse mit den Informationsbroschüren zu den verschiedenen Aspekten von Hirnverletzungen in den letzten Jahren wertvolle Aufklärungsarbeit geleistet. Diese werden nun überarbeitet, ergänzt und aktualisiert.

Was sind die Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt?
Die knappen Ressourcen im Gesundheitswesen – nun zusätzlich verstärkt durch die Corona-Pandemie. Dies erfordert kreative und individuelle Lösungen, damit nicht die Ausgrenzung gefördert wird, sondern die Teilnahme am Gesellschaftsleben für alle erhalten bleibt.

Welche Chancen birgt die Zukunft für Betroffene und Angehörige?
Eine enorme Entlastung wäre es, wenn sich die Möglichkeiten zur medizinischen Diagnostik durch bildgebende Verfahren verbessern würden. Dadurch liessen sich Mikroschädigungen im Gehirn, gegenüber den Sozialversicherungen besser beweisen. Auch in ihrem persönlichen Umfeld müssten sich Betroffene und Angehörige dadurch weniger rechtfertigen für Folgen, die man auf den ersten Blick eben nicht sieht, die aber real sind. Zentrale Ziele für uns sind nach wie vor, dass die unsichtbaren Folgen von Hirnverletzungen noch mehr anerkannt werden und dass daraus folgend der Zugang zu Entlastungs- und Eingliederungsmöglichkeiten erleichtert wird. Damit würde es auch möglich, die Entwicklung spezieller Angebote zur Inklusion zu intensivieren.

Wo wird FRAGILE Suisse in den nächsten 30 Jahren stehen?
FRAGILE Suisse wird noch konkreter auf die Bedürfnisse von Betroffenen und Angehörigen eingehen und diese nach der stationären Phase möglichst frühzeitig unterstützen. 

Im Zusammenhang mit der UNO-Behindertenrechtskonvention wird FRAGILE Suisse sich weiterhin dafür einsetzen, dass Betroffene und Angehörige die Anerkennung und nötigen finanziellen Mittel erhalten, um ihre Bedürfnisse nach Wahl decken zu können. Auch in 30 weiteren Jahren wird FRAGILE Suisse die Interessen der Menschen mit Hirnverletzung und ihren Angehörigen vertreten und wichtige Angebote bereithalten, damit ihre Anliegen Gehör finden.

Interview: Timea Hunkeler

Werden Sie aktiv