Sieben Säulen der Resilienz

Die Resilienzforschung ist ein aktives Gebiet, das zahlreiche Disziplinen der Wissenschaft umfasst. Diese überschneiden oder ähneln sich teilweise, konzentrieren sich aber auf verschiedene Aspekte des Menschen und seiner Umwelt. Dementsprechend gibt es auch zahlreiche verschiedene Modelle, die Resilienz zu beschreiben und definieren versuchen. In diesem Artikel gehen wir auf eines dieser Modelle ein und zeigen konkrete Anwendungsbeispiele für Menschen mit Hirnverletzung auf.

Die Resilienzforschung ist ein aktives Gebiet, das zahlreiche Disziplinen der Wissenschaft umfasst. Diese überschneiden oder ähneln sich teilweise, konzentrieren sich aber auf…

Eine Frau mit einem gelben Regenschirm steht auf einer Wiese und blickt zu den Bäumen im Hintergrund.

Das Modell der sieben Säulen der Resilienz dient dazu, die innere Widerstandskraft gegen Stress zu stärken und zu verstehen. Resilienz wird als die Fähigkeit definiert, gelassener auf stressauslösende Reize zu reagieren und diese Herausforderungen nicht nur zu überstehen, sondern auch gesund zu verarbeiten (mehr dazu hier). Dieses Konzept funktioniert wie ein mentales Immunsystem, das uns vor den langfristigen negativen Auswirkungen von Stress schützt.

Das Modell wurde von der Diplom-Psychologin Ursula Nuber entwickelt und erfreut sich unter Resilienz-Trainer:innen an grosser Beliebtheit. Die sieben Säulen sind: Optimismus, Akzeptanz, Lösungsorientierung, Verlassen der Opferrolle, Übernehmen von Verantwortung, Netzwerkorientierung und Zukunftsplanung.

 

1. Säule: Optimismus

Optimismus bezeichnet eine positive Grundhaltung im Leben. Er kann sich kann sich auf das Hier und Jetzt, aber auch auf die Zukunft beziehen. Fällt es einem zu schwer, in der aktuellen Situation positive Dinge zu sehen, kann der Glaube daran, dass vieles wieder besser wird, ebenfalls helfen und motivieren.

Als betroffene Person können Sie Ihren Optimismus üben, indem Sie kleine Fortschritte in der Rehabilitation und im Alltag feiern. Wie zum Beispiel:

  • Sie können Ihren gelähmten Arm heute ein paar Zentimeter höher heben, als noch vor einer Woche.
  • Sie haben den Wocheneinkauf ohne Reizüberflutung überstanden.
  • Sie haben Ihr Bus-Ticket selbstständig am Automaten gelöst.
  • Sie haben trotz mangelndem Appetit ein tolles Abendessen zubereitet.

Fallen Ihnen weitere Dinge ein, die Sie an sich feiern können?

2. Säule: Akzeptanz

Akzeptanz bedeutet, die Realität so anzunehmen, wie sie ist, und sich mit den Gegebenheiten auseinanderzusetzen, statt gegen sie anzukämpfen.

Nach einer Hirnverletzung ist vieles nicht mehr wie vorher und kann auch durch endlose Übung und Optimismus nicht mehr auf den gleichen Stand gebracht werden. Und das ist in Ordnung. Das zu verstehen und sich bewusst zu machen, schafft Ruhe und Gelassenheit. Dazu gehört auch Selbstakzeptanz. Akzeptanz ist nicht gleich Aufgeben – stattdessen schauen Sie lieber nach vorne und finden neue Wege, Ihre Ziele zu erreichen.

3. Säule: Lösungsorientierung

  • Aphasiker:innen sind vielleicht nicht mehr gleich wortgewandt wie früher, finden aber zum Beispiel ihre Stimme im Aphasiechor oder im Juuzen wieder (mehr im Kursprogramm). Oder sie finden andere Ausdrucksmöglichkeiten in der Kunst, wie zum Beispiel Tobias B.  
  • Vielleicht müssen Sie Ihren geliebten Sport aufgeben. Gehen Sie auf Entdeckungstour und probieren Sie andere Sportarten aus – bestimmt finden Sie etwas, das Ihnen genauso gut, wenn nicht sogar besser gefällt. Wie zum BeispielIwan B., der nach der Hirnverletzung zum ersten Mal einen Marathon lief und nun ein regelrechter Laufprofi ist.
  • Vielleicht fallen Ihnen administrative Aufgaben im Alltag schwer. Strategien wie To-Do-Listen oder Handywecker mit Terminerinnerungen können Abhilfe verschaffen. Auch das Begleitete Wohnen von FRAGILE Suisse kann Sie unterstützen.

4. Säule: Opferrolle verlassen

Diese Säule ermutigt dazu, die Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen und nicht in der Rolle des Opfers zu verharren.

Vielleicht denken Sie sich: Wieso soll ich Verantwortung dafür übernehmen, dass ich von einem Autofahrer angefahren wurde? Oder: Ich habe mich mein Leben lang gesund ernährt und Sport getrieben – soll der Schlaganfall nun meine Schuld sein?

Beim Verlassen der Opferrolle geht es nicht darum, sich selbst verantwortlich oder gar schuldig zu fühlen – ganz egal, wie es zur Hirnverletzung gekommen ist. Stattdessen geht es darum, sich nicht hilflos zu fühlen und das Geschehene sowie dessen Konsequenzen nicht passiv über sich ergehen zu lassen. 

5. Säule: Verantwortung übernehmen

Verantwortung übernehmen bedeutet, die eigenen Entscheidungen und deren Konsequenzen zu akzeptieren und aktiv zu handeln, um das eigene Leben zu gestalten.

Ähnlich wie bei der 4. Säule geht es nicht darum, einer anderen Person oder sich selbst die Schuld in die Schuhe zu schieben. Es soll auch nicht verharmlosen, wie schwierig es anfangs ist, sich im Dschungel unseres Gesundheitssystems zu orientieren und seinen neuen Lebensweg einzuschlagen. Stattdessen werden Sie dazu ermutigt, proaktiv zu sein und sich Unterstützung zu holen: Zum Beispiel bei der Beratung von FRAGILE Suisse oder in einer Selbsthilfegruppe Ihrer Regionalvereinigung.

 

6. Säule: Netzwerkorientierung

Netzwerkorientierung bezieht sich auf die Fähigkeit, soziale Kontakte zu pflegen und Unterstützung von anderen zu suchen.

Oft liegt es an den engsten Angehörigen wie Familie und Partner, Betroffene nach der Hirnverletzung aufzufangen. Gleichzeitig droht genau diesen schnell die Überforderung und leider brechen auch viele Freundschaften auseinander. Ein grosses und stabiles soziales Netzwerk ist deshalb Gold wert – jede Beziehung bietet andere Vorteile und stärkt und entlastet sowohl Betroffene als auch Angehörige. In den Kursen von FRAGILE Suisse oder an den geselligen Treffpunkten der Regionalvereinigungen lernen sie neue Leute kennen.

7. Säule: Zukunftsplanung

Zukunftsplanung bedeutet, realistische Ziele zu setzen und einen Plan zu entwickeln, um diese zu erreichen.

Nutzen Sie Ihre Erfahrung aus vergangenen Erfolgen und Misserfolgen, um so zu planen, dass Ihre Ziele erreichbar sind. Ein bisschen Träumen und aus dem Fenster Lehnen darf sein – denn viele Betroffene schaffen ausserordentliche Leistungen. Messen Sie aber Ihren Wert nicht an dem, was Sie erreichen oder nicht und bleiben Sie anpassungsfähig. Auch hier lohnt sich ein Austausch in der Beratung, in einem Kurs oder einem Gruppentreffen.

Natürlich ist es nicht leicht, all diese Denkweisen vom einen Tag auf den anderen anzunehmen und anzuwenden. Sie setzen regelmässiges Üben und Geduld mit sich selbst voraus. Denken Sie daran, dass Resilienz ein Prozess ist, dass Sie Unterstützung unter Gleichgesinnten finden und feiern Sie Ihre Fortschritte – egal, wie klein sie scheinen.

Werden Sie aktiv